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Doku „Mr. Scorsese“: Vermessung eines rastlosen Regie-Lebens

Seit dem 17. Oktober ist die fünfteilige Dokumentarserie „Mr. Scorsese“ bei Apple TV+ zu sehen. Ein umfangreiches und vielschichtiges Porträt über einen der bedeutendsten Regisseure des US-Kinos.

Filmemacher-Dokus haben Streamingdienste inzwischen öfters im Programm, doch diese hebt sich durch ihren Detailreichtum vom Durchschnitt ab: Martin Scorsese kommt nicht nur ausführlich in Interviews zu Wort, sondern auch in Gesprächen mit Jugendfreunden und Weggefährten. Filmemacherin Rebecca Miller erhielt zudem umfassenden Zugang zu Scorseses Archivmaterial. Zahlreiche Behind-the-Scenes-Aufnahmen bieten zeitgenössische Einblicke. Man sieht Scorsese drehen, zweifeln, scheitern, feiern. Dank der Einblicke von Crew-Mitgliedern wie Thelma Schoonmaker (Schnitt) und Paul Schrader (Drehbuch) lernt man zudem Scorseses Arbeitsweise in selten gesehener Tiefe kennen.

Scorsese wuchs in Little Italy, auf der Lower East Side von Manhattan, auf. Eine Welt mit katholischer Moral und Straßengesetzen. Das prägte sein späteres filmisches Schaffen nachhaltig. Eine Anekdote fasst diese Prägung perfekt zusammen: Als Jugendlicher gerät Scorsese mit einem Freund irgendwo in seiner Nachbarschaft in eine turbulente Auseinandersetzung. Der Freund sagt: „Ich wünschte, ich hätte eine Waffe.“ Scorsese dagegen: „Ich wünschte, ich hätte eine Kamera.“

Nach seinem Studium an der New York University drehte Martin Scorsese 1971 für „B-Movie-König“ Roger Corman „Die Faust der Rebellen“ (1971). Der Film fand sein Publikum, ließ aber eine Exploitation-Karriere erwarten. Die entscheidenden Initialzündung markierte die Zusammenarbeit mit Robert De Niro. Mit „Hexenkessel“ („Mean Streets“, 1973) boten beide einen so charakterstarken wie kompromisslosen Gangsterfilm. Scorsese wurde zu einer prägenden Stimme des amerikanischen Kinos der 1970er-Jahre.

Nach dem kommerziellen Misserfolg von „New York, New York“ (1977) verfiel Scorsese in eine tiefe Depression, seine bereits bestehende Kokainabhängigkeit geriet außer Kontrolle. Erst ein Eingreifen De Niros rettete ihn: Der Schauspieler überzeugte den am Boden liegenden Freund im Krankenhaus, gemeinsam das Boxerdrama „Wie ein wilder Stier“ („Raging Bull“, 1980) zu drehen. Der Film wurde zum Meisterwerk und gilt bis heute als eine der eindrucksvollsten filmischen Auseinandersetzungen mit Selbstzerstörung.

Martin Scorsese im Schneideraum (1980)
© 2025 Apple TV+

Mit Erfolgsfilmen wie „Goodfellas“ (1990) und „Casino“ (1995) verfestigte Scorsese in den 90er-Jahren seinen Ruf als Regisseur großer Mafiafilme. Dennoch blieben weitere Krisen und Rückschläge nicht aus: Zwischenzeitlich haftete seinen Arbeiten der Ruf an, Kassengift zu sein.

Der letzte Teil der Doku widmet sich der fruchtbaren Partnerschaft mit Leonardo DiCaprio, die Scorseses Karriere in den 2000er-Jahren neu belebte. Filme wie „Gangs of New York“ (2002), „The Aviator“ (2004), „Shutter Island“ (2010) oder „The Wolf of Wall Street“ (2013) zeigen einen Regisseur, der sich immer weiter in neue moralische Räume vordringt.

Auf seinen Regie-Oscar musste Martin Scorsese lange warten. Trotz zahlreicher Nominierungen war es erst 2007 soweit. Seine Kollegen Francis Ford Coppola, Steven Spielberg und George Lucas überreichten ihm schließlich den Preis für „Departed – Unter Feinden“ (2006). Bevor er mit seiner Dankesrede begann, kommentierte Scorsese – auf die jahrzehntelange Durststrecke anspielend – trocken: „Kontrolliert lieber noch mal den Umschlag.“

Doch mehr noch als über diese späte Ehrung freut man sich als Zuschauer der Dokumentation darüber, wie leichtfüßig Scorsese heute auf seinen Weg zurückblickt. Zeigt das Archivmaterial ihn als jüngeren, doch mitunter gezeichneten Mann, geprägt von der Rastlosigkeit und dem Druck, die seine Karriere über Jahrzehnte bestimmt haben, so wirkt er heute vergleichsweise gelassen.

Am 17. November wird der Regisseur 83 Jahre alt. Offensichtlich ist er inzwischen stärker in das Familienleben integriert, als es ihm früher möglich war, ohne jedoch seine Filmarbeit aufgegeben zu haben. Neue Projekte werden bereits kolportiert, darunter ein Gangster-Thriller mit Leonardo DiCaprio, Dwayne Johnson und Emily Blunt.